Die Indikation, einen Wurzelstift zu setzen, wird heute kritisch abgewogen. Eine Versorgung mit einem Wurzelstift ist nicht immer minimalinvasiv, sie kann den endodontisch behandelten Zahn weiter schwächen. Ein Wurzelstift stabilisiert nicht den Zahn (oft ein Fehldenken!), sondern dient vornehmlich der Verankerung des Aufbaus. Daher müssen Wurzelstifte in den Fällen, in denen sie als Verankerung benötigt werden, auch ihre Funktion dauerhaft erfüllen. Die DGZMK empfiehlt einen Wurzelstift erst ab einer koronalen Destruktion von nur einem oder keinem verbliebenem Höcker. Auch Prof. Dr. med. dent. Daniel Edelhoff, LMU München, sieht für die endontische Versorgung im Seitenzahnbereich die noch bestehende Zahnhartsubstanz als entscheidenden Erfolgsparameter. Er appelliert: „Es gilt, von der verbliebenen Zahnhartsubstanz so viel wie möglich zu erhalten. Studien zeigen, dass ein gesunder Prämolar allein durch die Penetrationsöffnung für die endontische Versorgung 5% seiner Steifigkeit, bei einer größeren okklusalen MOD Kavität sogar 20% verliert. Und wenn nun auch kariesbedingt zusätzlich die mesiale und distale Randleiste verloren geht, bleiben nur noch 33% der ursprünglichen Ausgangsfestigkeit eines intakten Prämolaren.“ Besteht noch ausreichend koronale Restzahnsubstanz, kann plastisch mit direkten Compositen aufgebaut werden. Es muss nicht immer gleich eine Krone sein! Dazu zeigt Prof. Edelhoff in seinem Webinar auch klinische Beispiele, die ästhetisch absolut überzeugend sind.

Hält das auch? Prof. Edelhoff: „Ja, ein 17 Jahres-Follow-up konnte zeigen, dass ein adhäsiver Aufbau eines endodontisch behandelten Zahnes mit direkten Compositen einem solchen mit Stift vergleichbare klinische Erfolgsraten zeigte“. Wie verhält sich nun aber Keramik bei höcker-umfassenden Restaurationen? Keramik reagiert grundsätzlich sensibel auf Zugspannungen. Wenn nun die Restzahnhartsubstanz durch die endodontische Maßnahmen nachgibt, reagieren Keramiken darauf sehr empfindlich. Prof. Edelhoff kann auf zahlreiche Studien verweisen, die belegen, dass Okklusionsonlays, Teilkronen und Veneers aus Keramik auf endodontisch behandelten Zähnen eine geringere Lebensdauer aufweisen als auf vitalen Zähnen.

Grundsätzlich sollte also der Erhalt eines Zahnes angestrebt werden, solange er als Einzelzahn in geschlossener Zahnreihe steht, parodontal intakt ist und eine gute endodontische Aufbereitung und vollständige Wurzelfüllung vorweist. Liegen jedoch apikale Entzündungsprozesse, Risse in der Wurzel oder nicht restaurierbare, subgingivale Defekte durch Wurzelkaries oder Resorptionen vor, müssen Behandlungsalternativen geprüft werden. Prof. Edelhoff vergleicht die Überlebensrate endodontisch behandelter Zähne mit der Überlebensrate von Implantaten: „Bei beiden Methoden zeigen die Zahlen aus der Wissenschaft gleichermaßen hohe Erfolgsraten und bei beiden empfiehlt es sich, die Behandlung von einem Spezialisten vornehmen zu lassen.“ Als Basis für die Therapieplanung empfiehlt er die Studie von Zitzmann NU et. al „Strategic considerations in treatment planning: Deciding when to treat, extract, or replace a questionable tooth“ (2010). Darin sind die einzelnen Kriterien aufgeführt, die zu einer korrekten Entscheidung führen.

Glasfaserstifte: stark in der Front
Prof. Edelhoff sieht den Wurzelstift DentinPost Coated ganz klar für den ästhetischen Frontzahnbereich indiziert. Er zeigt in dem Webinar einen extremen Patientenfall, bei dem er nach einer endodontischen Behandlung mit einem Adhäsivaufbau fortsetzte. „Heute würde ich hier einen Stift setzen, weil im Frontzahngebiet bei der dynamischen Okklusion Scherkräfte auftreten. Die kann ein Stift besser in die Wurzel verteilen.“ Wenn bei einem endodontisch behandelten Frontzahn Defekte wie keilförmige Defekte oder Zahnhalskaries in vestibulo-oraler Richtung (Belastungsrichtung) vorliegen, sollten wie auch bei einem hohen Zerstörungsgrad der klinischen Krone Stifte gesetzt werden. Das konnte laut Prof. Edelhoff auch in Studien nachgewiesen werden. Er ergänzt: „Das Risiko einer Fraktur der klinischen Krone ist bei einer Schwächung der Zahnhartsubstanz durch Defekte von oral nach vestibulär viel stärker als von mesial nach distal.“ Er selbst setzt den DentinPost Coated aus verschiedenen Gründen gerne im Frontzahnbereich ein: „Der DentinPost Coated ahmt das Elastizitätsmodul und die optischen Eigenschaften des Dentins sehr gut nach. Es ist immer vorteilhaft, Materialien mit einem ähnlichen Elastizitätsmodul miteinander zu verkleben.“ Der zahnfarbene und transluzente Aufbau des DentinPost Coated spricht für hochästhetische Ergebnisse. Auf dieser Basis sollten auch transluzente Aufbau-, Befestigungs- und Restaurationsmaterialien konsequent aufeinander abgestimmt verwendet werden. Prof Edelhoff geht in dem Webinar auch auf klinische Misserfolge ein: „Glasfaserstifte zeigen meist einen wurzelschonenden Versagensmodus. Das ist in zahlreichen In-vitro-Untersuchungen belegt. Auch bei meinen Patienten habe ich zahlreiche Beispiele, bei denen nach Trauma ein Glasfaserstift versagte, bevor die Wurzel frakturierte. Damit bleibt der biologische Pfeiler weiter erhalten und kann durch einen neuen DentinPost Coated versorgt werden. “ Als Tipp für die Präparation hält er fest: „Je höher das Ferrule Design, desto besser ist die Festigkeit und Prognose der Konstruktion – damit kommt wieder der schonende Umgang mit der Resthartsubstanz ins Spiel.“ Wichtig ist auch die passive Passung des Wurzelstiftes: Der Stift darf keine aktive Spannung auf die Wurzelkanalwände ausüben. Hervorzuheben sei zudem die konditionierte Oberfläche des DentinPost Coated. Diese wird mittels CoJet-Verfahren durch Abstrahlen mit siliziumummantelte Korundstrahlgut und Applikation eines Silans durchgeführt. Sie erzeugt eine Silikatisierung und anschließende Silanisierung der Oberfläche und ermöglicht einen chemischen Verbund mit einem aktivierbaren Polymer. Damit werden Behandlungsabläufe standardisiert und für das Befestigungscomposite eine maximale Verbundfestigkeit zur Stiftoberfläche erreicht. Wenn diese Maßnahmen zusätzlich mit Spezialinstrumenten zur Aufrauung der Wurzelkanalwand kombiniert werden, wird eine extrem hohe Retention des Stiftes am endodontisch behandelten Zahn erreicht.

Wurzelstifte in der korrekten Länge und Durchmesser angewendet, sind also eine sehr gute und sichere Versorgungsform. Auch wenn ihr Indikationsbereich aufgrund der gereiften Möglichkeiten in der Adhäsivtechnik eingeschränkt ist, verkörpern sie bei
korrekter Indikationsstellung eine wichtige Behandlungskomponente beim postendodontischen Aufbau von Zähnen.

Diese und noch viel mehr Aussagen von Prof. Dr. med. dent. Edelhoff finden Sie in der Aufzeichnung des Webinars „Klinischer Überblick über die Indikation von Glasfaserstiften, deren adhäsiver Befestigung und Langzeitbewertung“.

Glasfaserstifte
Webinar mit Prof. Dr. med. dent. Edelhoff

Kernaussagen des Webinars mit Prof. Edelhoff zur Restauration endodontisch behandelter Zähne:
– Das Ausmaß des koronalen Zahnhartsubstanzverlustes ist ein kritischer prognostischer Faktor
– Die Umsetzung des Ferrule-Design von mind. 2mm ist ein positiver prognostischer Faktor
– Wurzelkanalstifte sind dann indiziert, wenn eine oder keine Kavitätenwand verblieben ist
– Beschichtete Glasfaserstifte vereinigen zahlreiche positive Eigenschaften wie max. Haftfestigkeit
– minimalinvasive Restaurationen sind vorteilhaft: Veneers, Teilkronen anstelle von Kronen

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Jeder Zahnarzt kennt die kritische Entscheidung, ob ein endodontisch vorbehandelter Zahn mit einer frakturierten, klinischen Krone durch eine geeignete Rekonstruktion mittels eines Stift- oder Schraubenaufbaus überhaupt noch behandelt werden kann. Ist dann überhaupt noch genügend Retention für den späteren Aufbau und die prothetische Versorgung gegeben? Limitierende Faktoren sind der Zustand des Dentins im Bereich des Kanaleingangs, der Grad der Zerstörung des Zahnes (häufig sind diese Zähne stark kariös und bieten nur noch wenig gesunde Zahnhartsubstanz), die Kanalanatomie und die zu erwartende biologische Breite für die geplante spätere prothetische Versorgung. Im Grundsatz stellt sich für uns Zahnärzte also die Frage: Gibt es in solchen Grenzfällen einen Wurzelstift, mit dem trotz aller widriger Umstände ein stabiles und ästhetisches Langzeitresultat erzielt werden kann?

Der Markt bietet Wurzelstifte aus unterschiedlichen Materialien (z. B. glasfaserverstärktes Komposit, Titan, Zirkonoxid, Gusslegierung) und in umfassenden Formen und Größen an. Sie bedienen diverse Indikationen und Aufbaumöglichkeiten. Nun sind wir keine ausgewiesene Spezialpraxis für Endodontie, sind aber im Praxisalltag mit vielen Extremsituationen mit hohem Zerstörungsgrad konfrontiert. 2015 wurde ich auf den beschichteten Glasfaserstift DentinPost X Coated (DPXCL6) aufmerksam. Er sticht durch drei besondere Eigenschaften hervor: seine Beschichtung, den ausgeprägten Retentionskopf und die extrem kurze Schaftlänge. Die Beschichtung (vollständig silikatisiert, silanisiert und mit einer haftvermittelnden Polymerschicht versehen) sorgt für eine sehr gute Retention, denn zwischen Stift und Komposit kann eine identische Grenzfläche von apikal bis koronal entstehen. Der große Retentionskopf fällt sofort ins Auge und sorgt für eine gut verteilte Kraftübertragung in den Bereich der Wurzel.

Die kurze Schaftlänge von nur 6 mm folgt laut Herstellerangabe dem Ergebnis von Spannungsverteilungstests, die ergaben, dass es bei kurzen Stiften im apikalen Bereich keine nennenswerte Spannungszunahme gibt. Aufgrund der geringen Verankerungstiefe wird die Zahnwurzel also nicht zusätzlich geschwächt und der Behandler läuft nicht Gefahr einer Via falsa. Inzwischen arbeite ich seit drei Jahren mit dem DentinPost X Coated-Set. Es enthält neben den zehn DPXCL6-Wurzelstiften in einer Größe (070 bzw. 090) die zugehörigen Aufbereitungsinstrumente, also einen Pilotbohrer (Ref. 183LB), einen Erweiterer (Reamer, Ref. 196S) und ein Aufrauinstrument (Ref. 196DS). Der DPXCL6 ergibt mit dem in unserer Praxis individuell angefertigten CEREC-Keramikzahnersatz eine wunderbare Kombination: Schnell, unkompliziert und professionell kommen wir selbst bei Grenzfällen zu beeindruckenden Ergebnissen in kürzester Zeit, wie der folgende Patientenfall zeigt.

Patientenfall

Bei dem 76-jährigen Patienten ist Zahn 22 isogingival frakturiert, die Pulpa sichtbar, Schmerzen vorhanden. Bei der Überlegung, wie der Zahn wieder aufgebaut werden kann, fällt die Entscheidung gegen eine Implantation, denn es handelt sich um einen Marcumar-Patienten mit eingeschränkter Compliance. Auf dem röntgenologischen Befund stellt sich die Wurzel von Zahn 22 einwandfrei dar. Die Voraussetzung für den DPXCL6 ist in diesem Fall gegeben, weil eine zirkuläre koronale Restsubstanz von 2,00 mm bei dem Patienten gerade noch vorhanden ist. Der kurze Stift erfordert außerdem ein Ferrule-Design (sonst chirurgische Kronenverlängerung) und eine apikale Restwurzelfüllung von mindestens 4 mm.

Nach der Wurzelbehandlung stellt die Instrumentierung beim DPXCL6 eine kleine Ausnahme innerhalb des bekannten ER-Systems dar. Mit dem Erweiterer 196S können der Retentionskasten und das Stiftbett gleichzeitig präpariert werden. Da dieser formkongruent zum Wurzelstift ist, kann ich mich mit Sicht auf die tiefliegende Guttapercha sehr gut im Kanal orientieren. Anschließend geben ein Röntgenbild und eine Passprobe Klarheit über die Gesamtsituation.

Krone abgebrochen

Nun folgt die mechanische Konditionierung mit dem Aufrauinstrument 196DS durch zwei- bis dreimaliges druckloses Rotieren. Die Insertion des DPXCL6 geschieht anschließend mit geringem Druck. Unter leicht drehender Bewegung wird das Handlingsteil einfach abgeknickt. Zur Stiftbefestigung und zum Stiftaufbau verwende ich das selbstätzende Adhäsiv Dentin-Bond Evo und DentinBuild Evo (beide Komet Dental) als Komposit aus der Minimix-Spritze. Beide Produkte sind dualhärtend.

Nach der Präparation, dem Legen eines Retraktionsfadens, dem Scan mit der Omnicam (Dentsply Sirona), der Konstruktion mit der Software 4.5 und der Farbnahme mittels Easyshade®-Guide (VITA) konnte der Patient circa 20 Minuten im Wartezimmer Platz nehmen. Währenddessen wird der neue Zahn per CEREC aus Celtra Duo (Dentsply Sirona) ausgeschliffen, dann am Patienten anprobiert, individualisiert und anschließend im Ofen kristallisiert, wodurch wir eine Härte von 370 MPa erhalten. Nach insgesamt nur zwei Stunden konnte der Patient mit einer ästhetisch und funktionell einwandfreien Frontzahnreihe die Praxis wieder verlassen.

Glasfaserstift

Resümee: Grenzfall im Grenzfall

Mir ist bewusst: Dies ist ein extremer Fall für eine Stiftversorgung. Die Vorgaben für einen Wurzelstift (koronale Restsubstanz von 2,00 mm) waren nur grenzwertig erfüllt. Bei korrekter Abwägung blieben dem Risikopatienten jedoch ein extrem invasiver Eingriff, sprich Extraktion und Implantation, erspart. Der „Grenzfall im Grenzfall“ konnte dank des kurzen Wurzelstiftes DPXCL6 zur vollsten Zufriedenheit für Behandler und Patient minimalinvasiv umgesetzt werden. Behandlungen dieser Art, bei denen ich mich „weit aus dem Fenster lehne“, sind in meiner Praxis tatsächlich zur Routine geworden: schnell, unkompliziert, nicht invasiv und mit einer guten Langzeitprognose.

Ich empfinde es als sehr vorteilhaft, dass in dem Set jeweils zehn DPXCL6-Stifte mit dem komplett passenden Instrumentarium ausgestattet sind (Pilotbohrer 183LB, Erweiterer 196S und Aufrauinstrument 196DS). Das verhindert den versehentlichen Einsatz etwaiger stumpfer Instrumente. Dank der CEREC-Fertigung können unangenehme Abdrücke oder Provisorien sowie ein weiterer Behandlungstermin zum Einsetzen der Restauration entfallen. Dadurch ist man sehr flexibel im Praxisalltag und kann auch spontan viele sonst schwierige Fälle adäquat rekonstruieren. Der zahnfarbene Glasfaserstift DPXCL6 unterstützt das ästhetische Ergebnis maßgeblich.

Kontakt

Dr. Hendrik Zellerhoff
Königstraße 20
48366 Laer
hzelle@gmx.de

Zweitveröffentlichung aus Endodontie Journal 03/2017